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Interview mit Christoph Haßel-Puhl, Mitbegründer und Vorstand der Lebenshilfe

„Sei offen für neues und halte durch. Traue dich, einfach mal zu experimentieren.“

Christoph Haßel-Puhl ist Mitbegründer und Vorstand der Lebenshilfe Castop-Rauxel, Datteln, Oer-Erkenschwick, Waltrop e.V. Die Lebenshilfe ist innerhalb der letzten 5 Jahre extrem schnell gewachsen. Die Mitarbeiterzahl hat sich in diesem Zeitraum fast verdoppelt. Zudem gab es gesetzliche Veränderungen, die den Umbruch fociert haben. Die Arbeitsabläufe und  -strukturen veränderten sich dadurch zwangsläufig aber unreflektiert.

Die Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern stieg, es wurde zunehmend schwieriger geeignetes Fachpersonal zu finden, die Arbeitsabläufe wurden langsamer und uneffektiver. Es bewegt sich nichts mehr.

 


Was war der Impuls für Dich, einen Veränderungsprozess innerhalb der Lebenshilfe Waltrop zu initiieren?

In unserem ambulanten Dienst wurde deutlich, dass sich einfach nichts mehr bewegt, verändert oder neu gestaltet. Anforderungen von außen wurden in alte Formen gepresst. Dies gab Unzufriedenheit, sowohl auf Seiten der Mitarbeiter, wie auch auf Seiten der Geschäftsführung. Gespräche endeten mit Vorwürfen und Verteidigungsverhalten. Das bewirkte zunehmende Orientierungslosigkeit, Engagement Verlust und Starrheit. Gleichzeitig herrschte Ratlosigkeit, wie wir daraus kommen können. In einem intensiven Gesprächsaustausch, wurde die Parole ausgegeben: „Macht irgendwas, egal was, aber macht und wenn ihr Unterstützung braucht holt Sie euch dazu“.

 

Was waren dabei die größten Herausforderungen für Dich?

Eigentlich gab es zwei große Herausforderungen, die Zeit davor und danach. In der Zeit davor, war die Herausforderung in den gewohnten Strukturen verzweifelt nach Lösungen zu suchen. Alle Versuche einer Veränderung die von oben kamen, erzeugten Gegensinn, Unverständnis und ggf. mal kleine Erfolge. Zudem musste viel Zeit auf Mitarbeiterstimmungen verbraucht werden. Im Nachgang war dies sehr kräftezehrend. Veränderung oder Verbesserung stellte sich aber nicht im notwendigen Maß da.

Die Zeit nach dem lösenden Gespräch war die zweite Herausforderung. Fragen, wie geht es jetzt weiter, war dies der richtige Weg. Herausfordernd war auch die Erkenntnis. „Huch, du hast ja abgegeben“. Bei den Mitarbeitern spiegelte sich auch ein breites Spektrum der Reaktionen wieder. Das reichte von Euphorie und Aufbruchsstimmung, bis hin zu Betroffenheit und Unverständnis. Dies kam immer wieder auf verschiedenen Wegen bei mir an und ich musste lernen, zu dem zu stehen, was ich gesagt habe. Macht ihr mal. Das ist gar nicht so leicht. Ich merkte, wie ich in alten Denkstrukturen verhaftet war und immer wieder dazu geneigt war, aus dieser Struktur Antworten zu geben. Die Erkenntnis, vielleicht mal keine Antwort zu haben, war ungewohnt.

 

Was hast Du als hilfreich erlebt, innerhalb des Prozesses?

Beruhigend und somit hilfreich, war für mich im ersten die Entscheidung des Teams unsere langjährig für uns tätige Organisationsberatung von Tanja (Reuther) mit ins Boot zu holen. Damit stellte sich das Gefühl ein, hier wird nicht unkontrolliert losgelegt. Das wirkte wie ein Bindeglied. Unterstützend war gleichzeitig ein Perspektivwechsel meinerseits. Nicht mehr Lösungen für das operative Geschäft zu suchen (die eh meistens nicht die Richtigen waren), Lösungsvorschläge auch in grundsätzlichen Fragestellungen von den Mitarbeitern anzunehmen und insbesondere Vertrauen nicht nur als Worthülse zu benutzen, sondern auch zu leben. Ein hilfreicher Nebeneffekt, war zudem die betriebliche Herausforderung in einem anderen Bereich. Was sich zunächst als Ablenkung darstellte, war am Ende die Grundlage für die erfolgreiche Bewältigung. Ich hatte einfach mehr Zeit.

 

Bist Du durch Krisen gegangen und wenn ja, wie sahen diese aus und wie bist Du wieder aus der Krise gekommen?

Oh ja, da gab es so einiges. Dieser Bereich, der sich da nun auf dem Weg machte, war mein erstes Tätigkeitsfeld und nun sind andere daran, dies zu gestalten. Besprechungsformen wurden als überflüssig betrachtet und durch kurze Absprachen ersetzt. Kann das funktionieren. Wo bleiben die gewohnten Protokolle, damit ich meinen alten Überblick habe. Warum reden die nicht mehr mit mir über das Problem? Was passiert da überhaupt und denken die hoffentlich an bestimmte Punkte?

 

Viele Fragen haben mich über ein halbes Jahr beschäftigt und manchmal war dies schwer auszuhalten. Unruhe, Überlegungen die Entscheidung doch wieder zurückzunehmen, sich doch bei kleinen Sachen einfach mal einmischen, waren ganz ungewohnte Reaktionen für mich. Aushalten war halt angesagt und dies hatte dann, wie woanders auch seinen Erfolg. Nachdem sich das Team aufgemacht hatte, wurden mir nach einem halben Jahr Ergebnisse präsentiert (keine Fragestellungen wie vorher) und die hatten sogar Hand und Fuß. Erster Schritt aus der Krise.

 

Anhand der betriebswirtschaftlichen Zahlen, konnte ich schon nach den ersten Monaten erkennen, dass sich zunächst eine kleine, nach einem halben Jahr aber eine deutliche Verbesserung eingestellt hat. Zweiter Schritt aus der Krise. Das Vertrauensverhältnis zu den Mitarbeitern hatte sich deutlich verbessert. Das Loslassen wurde anscheinend als Vertrauensbeweis gewertet und wir waren nicht mehr in Welt von Oben und Unten, Vorwurf und Verteidigung unterwegs, sondern stärker im Team. Dritter Schritt aus der Krise. Was früher teilweise endlos hin und hergeschoben wurde, löst sich nun schneller und macht alle Beteiligten zufriedener. Am Ende des Tages stellt sich für alle ein Zeitgewinn ein und ermöglicht gutes Arbeiten.

 

Hat sich für Dich in Deiner Rolle etwas verändert?

Die würde ich momentan noch als ein Zwischending bezeichnen, da noch nicht alle Abteilungen in der neuen Richtung unterwegs bin. Je mehr alte Strukturen noch vorhanden sind, desto mehr bin ich auch verführt diese zu nutzen. Da, wo wir neue Wege gehen, kann ich eher in die Beobachtungsrolle gehen, Fragen stellen, statt Lösungen anbieten.

 

Menschen miteinander in Interaktion zu bringen ist eine wichtige Aufgabe. Heißt für mich gemeinsam mit den Teams auch noch mal die Könner im Betrieb ausfindig zu machen. Wir haben uns jetzt zusammen mit Tanja (Reuther) aufgemacht mit dem gesamten Betrieb auf einen neuen Kurs zu gehen. Unerlässlich ist dabei, sich mit seiner neuen Rolle auseinanderzusetzen. Reflektion der Kollegen und persönliche Einbindung in den Begleitungs- und Beratungsprozess durch Neuzeit sind wichtige Bausteine.

 

In dem Wandel muss ich mich vor der Überforderung schützen. Das Alte noch zu tun und ggf. noch zu verbessern, während ich das Neue denke, fordert einen schon heraus. Der Wandel funktioniert nur, wenn die Bedingungen dazu vorhanden sind. Eine wichtige Rolle von mir, ist diese zu schaffen oder Barrieren aus dem Weg zu räumen.

 

Was würdest Du jemandem raten, der aufbricht zu so einer Reise?

Kurz und knapp. Mach einfach. Fang an mit den Leuten, die für ein agiles und selbst organisiertes Arbeiten bereit sind. Sei offen für neues und halte durch. Traue dich, einfach mal zu experimentieren. Gib deinen Mitarbeitern auch die Zeit, die sie für eine neue Rolle benötigen. Wenn du Unterstützung brauchst, hier die Mailadresse von Tanja (Reuther).

 

Welche Veränderungen nimmst Du wahr?

Wie schon erwähnt, konnte der Bereich schnell wirtschaftliche Erfolge erzielen. MitarbeiterInnen sind bereit sich über ihr Fachgebiet hinaus einzubringen. Was sich bislang nur Team genannt hat, lebt dies nun auch. Hierarchien verschwinden. Der Kunde wird zufriedener, da schnell individuelle Lösungen entstehen. Ich gewinne zunehmend Zeit mich um Unternehmensaufgaben zu kümmern.

 

Was würdest Du aus heutiger Sicht anders machen und warum?

Erst einmal bin ich froh darüber, dass es so überraschend gekommen ist. Es gab keine strategische Überlegung oder einen Auftrag. Ansonsten hätte ich mich wahrscheinlich stärker im Kopf blockiert und somit Prozesse verhindert. Das hat mich auch davor geschützt, nicht direkt die komplette Organisation damit zu überfrachten. Mitarbeiter sind neugierig und lassen sich auch von positiven Veränderungen anstecken. Genauso ist es bei uns passiert.

 

Die Bedeutung der Kommunikation habe ich unterschätzt und würde dies beim nächsten Mal berücksichtigen. In agilen selbst organisierten Teams sind neue Kommunikationsformen notwendig. Die Fallgruppe ist, dass nur im engen (alten) Kreis kommuniziert wird. Es bilden sich jedoch neue Gruppen, die beteiligt sein müssen und wollen. Wenn denen die Information von Veränderungen fehlt und sie nicht beteiligt werden, droht ein Rückschritt. Aber auch dies ist ein ständiges Experimentieren.