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Schutzraumexperiment RoMed Kliniken

In unserem 4. Neuzeit Talk waren Diana Frankenberg, Pflegedienstleitung für die Bereiche Pädiatrie, Perinatalzentrum, Gynäkologie und Geburtshilfe am RoMed Klinik Rosenheim und Katja Hertel, Gesamtverantwortung im Pflege- und Funktionsbereich des RoMed Klinikums Prien zu Gast bei uns. 

Zum Verbund der vier kommunalen RoMed Kliniken gehört Bad Aibling, Prien am Chiemsee, Rosenheim und Wasserburg am Inn. mit gut 1.000 Betten werden jährlich etwas 50.000 Patienten stationär und 90.000 ambulant versorgt. Beschäftigt sind rund 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die Pflegedirektion der RoMed Kliniken möchte einen Paradigmenwechsel einleiten und Rahmenbedingungen entwickeln, die dazu führen, dass die Mitarbeitenden ihr Wissen und Können stärker selbstorganisiert einbringen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Experten Ihres Systems spüren tagtäglich, dass die historisch gewachsenen Strukturen heutigen Ansprüchen einer optimalen Patientenversorgung nicht mehr genügen. Die Strukturen sind schlichtweg zu langsam, umständlich und zäh und behindern unter Umständen auch die Wertschöpfung. Unzufriedenheit, Frustration und innere Kündigung sind die Folgen. Als attraktiver Arbeitgeber und Gesundheitsversorger der Region sind dies äußerst ernstzunehmende Themen.

Mit Hilfe von New Work, verstanden als ein gesellschaftliches und ökonomisches Konzept, will die Pflegedirektion diese Ideen weiter entwickeln und im Unternehmen umsetzen.

 

Frau Frankenberg war von Anfang an dabei, als die ersten Gedanken bezüglich der Idee „New Work in einem Krankenhaus“ umzusetzen, entstanden. Geht das in einem System, dass über Jahrhunderte sehr berufsgruppenorientiert und hierarchisch funktioniert? Wie weit kann man Strukturen verändern in einem System das vorrangig über Gesetze, Standards, Verordnungen und vieles mehr gesteuert wird?

Sie nahm genauso wie Frau Hertel an Workshops für die Führungskräfte teil und nach und nach reifte die Idee, ein Schutzraum-Experiment anzustoßen. 

 

Durch die Bearbeitung der einzelnen New Work-Prinzipien entstand ein Team „Musterbrecher“, bestehend aus insgesamt drei Pflegedienstleitungen, einer Werkstudentin und mir als externe Begleiterin. Gemeinsam haben wir die Idee des Schutzraum-Experiments weiter entwickelt und konkretisiert. 

 

Ein Schutzraumexperiment ist ein durch ein Machtpromot geschützter Versuch, ein extern referenziertes Problem frei von der bisherigen Organisation (Steuerung, Praktiken, Hierarchien etc.) zu lösen. Ist das neue Subsystem in der Lage das gleiche Problem besser (schneller, hochwertiger, günstiger, flexibler etc.) zu lösen. Ist die bewährte Kultur überlistet.

 

Der Geschäftsführer der RoMed Kliniken Herr Dr. Deerberg wurde eingeladen, um ihn für die Idee des Schutzraumes zu gewinnen. Er erklärte sich schnell bereit, als Schutzherr für das Experiment zu stehen.

 

Auch die Verantwortlichen des Priener Klinikums mit Frau Hertel als Pflegedienstleitung, dem kaufmännischen Leiter und dem Betriebsrat mussten für das Experiment gewonnen werden. Gemeinsam wurde eine geeignete Station ins Auge gefasst – ein Prozess, der alles andere als leicht war. 

 

Die zugrunde gelegte Hypothese lautete:

„Mit Hilfe von veränderten Strukturen und einer kontinuierlichen Reflektion des eigenen Handelns hinsichtlich der Wertschöpfungskette wird die Autonomie und Selbstorganisation der Mitarbeitenden gefördert und letztendlich bessere Ergebnisse im Sinne des Patienten erzielt.“

 

Frau Frankenberg und Frau Hertel berichten in dem Talk über die anfänglichen Schwierigkeiten der Mitarbeitenden, den neugewonnen Freiraum zu nutzen. Als das Experiment so langsam Fahrt aufnahm, kam Corona und die Station wurde mit so wenig Patienten wie möglich belegt, um Kapazitäten für die befürchtete Versorgungswelle frei zu bekommen.

Es entstand zunächst der Eindruck, dass das Experiment bei aufnehmender Fahrt nun abrupt gestoppt würde. Dann zeigte sich allerdings, dass die gewünschte Dynamik in das gesamte Haus geschwappt war. Alle einte ein einziges Ziel: Wir packen diese Krise, und das geht nur zusammen. Die regierungsseitige Vorgabe lautete: Bereitet Euch vor, so gut es geht. Schafft Patientenplätze, richtet so viele zusätzliche Intensivkapazitäten ein, wie es nur irgendwie machbar ist. Schafft alles dafür notwendige Equipment an. Es galt schlichtweg die Szenarien kollabierender Gesundheitssysteme wie in Italien und Spanien zu verhindern. Alles wurde dem untergeordnet. Jegliche (gesetzliche) Reglementierung, die vorweg so hinderlich und kompliziert war, war von der Regierung ausgesetzt. 

All das ermöglichte, dass schlagartig über Abteilungsgrenzen hinweg gearbeitet wurde. Die verschieden im Vorfeld zum Teil konkurrierenden Berufsgruppen kooperierten plötzlich ohne große Widerstände. Alle halfen sich. Die Kommunikation fand dort statt, wo es notwendig war und erfolgte effizient. 

Auch in der Zusammenarbeit mit den vielen weiteren Kliniken im regionalen Umfeld, ebenso wie im gesamten Gesundheitssystem wurden plötzlich die New Work-Prinzipien sichtbar: Schulungsunterlagen wurden unternehmensübergreifend zur Verfügung gestellt. Wissenschaftliche Verlage stellten Fachliteratur kostenlos zum öffentlichen Download. Es fand ein reger fachlicher Austausch mit den italienischen KollegInnen statt. 

 

Um der Dynamik und dem Phänomen auf die Spur zu kommen, führte das Musterbrecher-Team 20 Interviews mit Mitarbeitenden unterschiedlichster Berufsgruppen und Hierarchieeben des Priener Klinikums durch. Fazit: Corona als gemeinsames und in der akuten Zeit als einziges Ziel hat es ermöglicht, dass plötzlich ein Arbeiten unter den Prinzipien von New Work möglich war.

 

Nachdem in der RoMed Klinik in Prien nun auch der neue Normalbetreib Einzug gehalten hat, konnte das Schutzraum-Experiment wieder Schwung aufnehmen. Derzeit werden mehr als 25 Ideen, wie man die Arbeitsabläufe auf der Station verbessern kann, von MitarbeiterInnen des interdisziplinären Teams verfolgt. Bei der Umsetzung einiger Ideen müssen Schnittstellen eingebunden werden, so dass sich der beabsichtige Systemwechsel langsam und vorsichtig in den RoMed Kliniken in Prien verbreitet.

 

Vielen Dank an Frau Frankenberg und Frau Hertel für Ihre lebhafte Darstellung!